Jagdzeit

In Frankreich ist von August bis Februar Jagdsaison. Je nach Département ist der Anfang der Jagdsaison unterschiedlich; hier bei uns z.B. ging es Mitte September los. Das Jagdwesen funktioniert hier anders als in Deutschland. Es gibt keine Jagdreviere, sondern das Jagen ist in freiem Gelände dort erlaubt, wo kein „chasse gardée“-Schild (privates Jagdgebiet) oder Jagdverbotsschild steht. Diese Schilder sind hier in der Gegend selten, es darf also fast überall gejagt werden. Außerdem darf praktisch fast jede/-r jagen, die/der eine entsprechende Prüfung besteht. Das bedeutet konkret für mich und auch für Leo, dass wir, wenn wir mit den Hunden unterwegs sind, sechs Monate im Jahr regelmäßig irgendwelchen Gestalten mit Knarre im Arm begegnen.

Vor ein paar Wochen habe ich ein Video gesehen, das einen Hirsch zeigt, der sich während einer Hetzjagd in den Garten eines Privathauses verirrt hat und dort dann schlussendlich erschossen wurde, wohl ohne dass die Grundstücksbesitzerin ihre Einwilligung hierzu gegeben hatte. Das Video war von einer großen französischen Tierschutzorganisation veröffentlicht worden und macht immer noch auf Facebook etc. die Runde. Ich fand es ziemlich heftig. Und es hat mein Interesse daran geweckt, herauszufinden, unter welchen Voraussetzungen man hier Jäger werden kann. Ich habe ein wenig zu der Prüfung für den Jagdschein recherchiert: sie besteht aus einem praktischen und einem theoretischen Teil, und beide zusammen sollen gerade mal 30 Minuten dauern. Es werden insgesamt 31 Punkte vergeben, 21 für den praktischen Teil und 10 für den theoretischen. Man braucht mindestens 25 Punkte, um zu bestehen, und nach all dem, was ich gelesen habe, möchte ich mal behaupten, dass, wer sich nicht komplett blöd anstellt, diesen Test auch ohne weiteres besteht. Der praktische Teil besteht aus vier Übungen, in denen es hauptsächlich darum geht, unter Beweis zu stellen, dass man die Sicherheitsregeln beim Umgang mit der Schusswaffe kennt (Soll man wohl auf ein Wildschwein zielen, wenn in der Schussbahn ein Mensch rumsteht? Schwierige Frage!). Für den theoretischen Teil gibt es die Fragen zum Üben im Internet, und man kann dort auch diverse Tests durchlaufen. Das habe ich mal getan. Ich muss dazusagen, dass meine Kenntnisse in dem Bereich bislang gegen null tendierten (z.B. habe ich bis vor einiger Zeit gedacht, das Reh sei die Frau vom Hirsch …). Trotzdem habe ich gleich beim ersten Mal 28 von 40 Fragen richtig beantwortet – dadurch wird ungefähr klar, wie schwierig diese Fragen sind. (Kleines Beispiel: Ein Foto zeigt zwei Jäger in einem Boot, Nr. 1 sitzt, Nr. 2 steht Nr. 1 gegenüber und zielt mit der Knarre auf Nr. 1. Verhält sich Nr. 2 wohl richtig oder falsch? Schwierige Frage!) Das Ganze war auch ein wenig lehrreich. Ich könnte jetzt z.B. eine Wildschweinspur identifizieren, weiß, dass Fasane polygam sind, dass Graureiher geschützte Tiere sind und dass mir der Jagdschein weggenommen werden würde, wenn ich einen hätte und einen Graureiher erlegen würde und mich dabei auch noch so blöd anstellen würde, dass das jemand mitkriegt.

Das Video mit dem erschossenen Hirschen beschäftigte auch den Präsidenten des französischen Jägerverbandes. Ende Oktober wandte er sich in einem Schreiben an Emmanuel Macron, den Präsidenten der französischen Nation, mit der Bitte, dem momentanen Geschehen Einhalt zu gebieten und diese Netzwerke sowie die Tierschutzorganisationen, die gegen das Jagdwesen hetzen, aufzulösen. Sehr pathetische Worte sind in diesem Brief zu lesen, unter anderem schreibt er, er sei „… stolz, Präsident der Jäger zu sein, denn sie tragen die Grundwerte der menschlichen Spezies in sich und sind die Zukunft unseres Landes …“. Ah ja. Die „Zukunft unseres Landes“ ist ursächlich verantwortlich für bereits fünf Tote seit Beginn der diesjährigen Jagdsaison, wie die Zeitung France Soir am 16. Oktober schrieb: unter den Opfern ein 13jähriger, der von seinem Jäger-Opa erschossen wurde, ein Jäger, der von einem anderen Jäger erschossen wurde, der ihn für ein Wildschwein hielt (da passt fast der alte Kalauer „Treffen sich zwei Jäger – beide tot“), und eine 69jährige Frau, die von einem Jäger für einen Hirsch gehalten worden war. Also wenn ich Präsident des Jägerverbandes wäre, würde ich einen Sehtest mit in die Prüfung aufnehmen.

Es mag ja sein, dass das Jagen von Wildtieren notwendig ist, um z.B. einer unkontrollierten Vermehrung dieser Tiere Einhalt zu gebieten. Ob das dadurch gewährleistet ist, dass hier die Jäger durch die Felder streifen und auf das ballern, was ihnen gerade vor die Flinte kommt, sei dahingestellt. Aber wofür braucht es Hetzjagden? Muss man Tiere in so eine Stesssituation bringen, in der sie stundenlang von einer Hunde- und Menschenmeute in die Enge getrieben werden, bevor man sie dann endlich abknallt? (À propos man/Mann: 98 Prozent der Jäger in Frankreich sind männlich bzw. männlichen Geschlechts.) Ein weiterer Fall wurde gestern von der Tierschutzorganisation veröffentlicht: ein Video, in dem ein Hirsch, der sich bei einer Hetzjagd in einen Fluss gerettet hat, von zwei Jägern in einem Boot verfolgt wird. Es gelingt den beiden, den Hirsch einzuholen, und sie töten ihn, indem sie seinen Kopf unter Wasser halten, ihn also ertränken. Die am Flussufer stehende Jägermeute nimmt es gelassen hin und macht sich lustig über die Leute, die das Ganze beobachtet haben und ihr Entsetzen kundtun. Für mich hat so etwas rein gar nichts mit „Grundwerten der menschlichen Spezies“ zu tun.

Noch so eine Sache: Auf der Internetseite des Jägerverbandes steht in hehren Worten: „Die Jäger spielen eine wichtige Rolle in den französischen Gemeinden und engagieren sich besonders für die Erhaltung der Umwelt und der Natur …“ Was im Klartext bedeutet, dass sie ihre Patronenhülsen wo sie gehen und stehen einfach fallen- und liegenlassen?

Oder deren Verpackungen?
Und um solchen Müll zu finden, muss man nicht großartig suchen – so etwas liegt hier überall in der Landschaft herum.

Seit Beginn dieser Jagdsaison hängen hier ein paar dieser alten Kanister herum, die zu Sammelstellen für benutzte Patronen umfunktioniert wurden, so steht es zumindest drauf (zu der Orthographie sag ich jetzt mal nichts). Es sind tatsächlich auch Patronen drin. Allerdings habe ich bislang in dem Gebiet, in dem wir herumlaufen, ganze vier dieser Kanister gesehen. Und das Gebiet ist nicht klein. Bei einem Kanister liegen in unmittelbarer Nähe Patronen im Gras; so viel zu Erhaltung von Umwelt und Natur.

Wir haben übrigens auch ganz direkte Auswirkungen der Jagd bzw. mit dem damit verbundenen Geknalle: Unsere Elly hat leider totale Panik vor lauten Geräuschen. Wenn sie im Morgengrauen die ersten Schüsse hört, geht das Gezittere los, mit eingezogenem Schwanz schleicht sie dann schlotternd, winselnd und hechelnd durchs Haus. Gehen wir mit ihr spazieren und es knallt, ist ihr Rumgeschnüffele und Gezerre schlagartig beendet, mit eingezogenem Schwanz bleibt sie zitternd direkt hinter einem von uns, quasi mit ihrer Nase in einer unserer Kniekehlen. Wenn wir im Haus sind und es knallt draußen, ist es ein wenig hilfreich, für Hintergrundgeräusche zu sorgen, also z.B. Radio oder Fernseher einzuschalten, so bekommt sie das Geballere nicht so sehr mit. Und wenn sie dann die Sendung mit der Maus schaut, lernt sie ja vielleicht auch noch was.

Im Februar ist dann erst mal Schluss mit dem Geballere. Ich kann es kaum erwarten.
Und jetzt Schluss mit dem „landeskundlichen Ausflug“; demnächst wird es dann wieder etwas zu den hier sonst üblichen Themen zu lesen geben.