Meine Schwester

Am 18. Januar 2021 ist meine Schwester gestorben.

Sie hat eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt. Sie ist älter als ich, war in der Abiturklasse, als ich aufs Gymnasium kam. Im Gegensatz zu mir war sie eine der besten Schülerinnen – die Lehrerinnen, die uns beide im Unterricht hatten, konnten es immer nicht fassen, dass ich leistungsmäßig kaum in ihre Fußstapfen trat. Aber ich hatte wenig Lust auf Schule.

Als sie mit der Schule fertig war, ist sie nach Göttingen gezogen, wo ich sie manchmal in den Schulferien besucht habe. Das war für mich immer so toll, ein paar Wochen Studentenleben mitmachen zu können. Regelmäßig hat sie während dieser Wochen auch ihren Kleiderschrank durchgeschaut und mir coole Klamotten abgetreten, was war ich immer glücklich.

Sie hat neben dem Studium in einer Buchhandlung gearbeitet und mir während der Zeit Unmengen von Büchern geschenkt, was unter anderem auch den Grundstein zu meiner feministischen Einstellung gelegt hat.

Als ich dann die Schule beendet hatte, bin ich ebenfalls nach Göttingen gezogen, so dass ich wieder in ihrer Nähe war. Wir haben eine Zeitlang zusammen gewohnt, sind ein paar Mal zusammen umgezogen, und unser Vater kam jedes Mal, um klaglos wieder einmal die Wände zu tapezieren. Wir waren einige Male zusammen in Urlaub, auch später, als wir beide schon ein Kind hatten.

Wie regelmäßige Leserinnen und Leser dieses Blogs wissen, hat sie vor ein paar Jahren das Haus neben unserem gekauft und konnte dann oft hier sein, als sie pensioniert war.

Im Frühling des letzten Jahres ist eine schwere Erkrankung bei ihr diagnostiziert worden. Sie hat im Laufe des Jahres dann mehrere Chemotherapien durchgemacht, die aber die Krankheit nicht aufhalten konnten. Wir haben viel telefoniert während der Zeit, und sie hat immer gesagt, sie würde so gerne zum Jahresende noch einmal herkommen. Ich hatte befürchtet, dass das nicht mehr klappt, dass ihr Gesundheitszustand ihr das nicht mehr möglich machen würde. Aber über Weihnachten und Silvester war sie noch ein letztes Mal mit ihrem Sohn hier, und wir hatten noch ein wenig Zeit, miteinander zu reden, zu lachen, zu heulen.

Es ist müßig, zu fragen, warum hat es gerade sie getroffen? Diese so positive, energiegeladene, begeisternde, engagierte, hilfsbereite Frau? Trotzdem frage ich mich das.

Es geht weiter, irgendwie. Aber es ist sehr schwer zu realisieren, dass sie einfach nicht mehr da ist.